Die Kunst der Bildanalyse: Bilder lesen und verstehen lernen

Wie analysiert man Bilder und Kunstwerke? Unsere Expertin erklärt, worauf es bei einer Bildanalyse ankommt.

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Maria | 29.07.2024 | Lesedauer 5 min

Von Kunst bis Medienwisschenschaft: bei wissenschaftlichen Arbeiten aller Art, die mit Bildern arbeiten, ist eine Bildanalyse notwendig. Doch was ist eine Bildanalyse genau, welche Elemente enthält sie? Wie ist sie von einer reinen Bildbeschreibung abzugrenzen? Und wie kann Bilder im wissenschaftlichen Kontext sinnvoll und produktiv analysieren?

Was ist eine Bildanalyse?

Im Vergleich zur reinen Bildbeschreibung, bei der unterschiedliche Bestandteile eines vorliegenden Bildes dargelegt werden, geht die Bildanalyse tiefer – es werden verschiedene Aspekte des Bildes systematisch untersucht und miteinander verknüpft. Oft kann jedoch eine Bildbeschreibung der erste Schritt in Ihrer Arbeit sein, auf den die anschliessende Analyse des Bildes aufbaut. So unterscheidet Roland Barthes bei der Bildanalyse zwischen dem denotativen und einem dem Teil1: beim denotativen Ansatz werden die Bildelemente klar und direkt beschrieben, ohne ihnen sofort eine zusätzliche Bedeutung zuzuweisen. Im konnotativen Teil werden dann Zusammenhänge, Symbole und Lesarten herausgearbeitet, die im Bild enthalten sind.

Bildanalyse schreiben lassen

Bildanalyse schreiben lassen

Ob in Filmwissenschaft, Kunstgeschichte oder den Sozialwissenschaften – wir unterstützen Sie bei der Bildanalyse.

Bildanalyse

Eine Bildanalyse – mehr als die Summe der einzelnen Teile

Sie schreiben über Rubens „Anbetung der Hirten“2? Neben dem zeitgeschichtlichen Kontext sind die Farbpalette, die dominanten Formen und die Führung der Linien und Achsen in den Malereien relevant, um wissenschaftliche Aussagen treffen zu können. Sie analysieren den Oscar-prämierten Film „Anatomie eines Falls“3 hinsichtlich seiner Inszenierungsstrategien? Verwenden Sie Screenshots von Filmszenen, um Ihre Argumentation gekonnt zu stützen. Sie möchten die politische Kommunikation einer Partei anhand der Auendarstellung analysieren und erforschen, welche Eigenschaften auf den Wahlplakaten kommuniziert werden? In allen hier dargestellten Forschungsfeldern ist die Bildanalyse ein wesentliches Tool, um praxisnah und anschaulich zu arbeiten und Ihre wissenschaftlichen Schlussfolgerungen zu fundieren. Unsere Expert:innen sind mit der sorgfältigen und strukturierten Vorgehensweise der Bildanalyse vertraut und kennen Potentiale, aber auch Herausforderungen im Fachbereich.

Dabei geht es bei einer professionellen Bildanalyse nicht nur um die Darstellung der einzelnen Elemente im Bild – das könnte in der heutigen Zeit auch eine KI für Sie übernehmen. Im Fokus stehen viel mehr die Verbindung der unterschiedlichen Aspekte, die Kontextualisierung des visuellen Mediums und der generelle Zusammenhang innerhalb Ihrer Arbeit. Was wird mit dem Bild kommuniziert, welche Inhalte werden vermittelt und wie? So kann schliesslich ein schlüssiges und stimmiges Gesamtkonzept entwickelt werden, das wissenschaftliche Argumente und eigene Erkenntnisse zulässt.

„Zwar sehen wir alle sichtbaren Bildelemente auf einmal; aber erst der Vorgang, ein materielles Bild in seine Einzelteile, besser gesagt Segmente, zu zerlegen, deren Zusammenhänge zu verstehen sowie die Bestimmung und Dekodierung der im Bild manifestierten Bedeutungsgehalte ermöglichen es, besagte Sinnstrukturen zu identifizieren und Gesamtkompositionen zu verstehen.“4, so die Soziologin Melanie Dietz.

Nach der „linguistischen Wende“5, bei welcher der Fokus auf einer sprachbewussten Erfahrung von Kultur und Gesellschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts lag, ist in den letzten Jahrzehnten die „ikonische Wende“6 in den Vordergrund gerückt, welche das Bild ins Zentrum wissenschaftlicher Forschung stellt. Gerade deshalb wird die Bildanalyse als Werkzeug immer relevanter und kommt dabei in unterschiedlichsten Fachbereichen zum Einsatz.

Die Komponenten der Bildanalyse

Die Komponenten einer Bildanalyse sind vielfältig und variieren je nach gewähltem Kontext. Untersuchen Sie für eine Arbeit in der Kunstgeschichte beispielsweise eine Malerei von Monet, werden Sie auf andere Aspekte achten als bei einer Fotografie von Nan Goldin: Bei Monet stehen die Pinselführung, der Farbauftrag, vielleicht der Kontrast im Vordergrund, bei Goldin hingegen die allgemein Farbatmosphäre des Fotos, die Tiefenschärfe, die Kameraperspektive. Trotzdem lassen sich, unabhängig von Stil und Epoche eines Kunstwerks, allgemein relevante Bestandteile einer Bildanalyse bestimmen.

 

1. Bildbeschreibung

Es empfiehlt sich, zuerst mit einer Bildbeschreibung zu beginnen. Dafür werden zunächst Fakten zu Künstler:in und Bild zusammengetragen: Von wem wurde das Bild geschaffen oder erstellt, in welcher kunsthistorischen Epoche kann es verortet werden? Danach werden die einzelnen Bestandteile des Bildes beschrieben. Die Reihenfolge ergibt sich dabei aus dem Dargestellten selbst und kann entweder von der Mitte nach aussen, von vorne nach hinten oder auch von links nach rechts erfolgen. Zudem kann zuerst auf das Hauptmotiv und dann auf Details eingegangen werden. Die Grundfrage ist hierbei: Was sehe ich? Danach kann die Blickführung beschrieben werden – auf was liegt der Fokus des Bildes? Aus welcher Perspektive sehe ich die Bildszene? Bin ich nah am Geschehen dran, oder betrachte ich es aus der Ferne? All diese Fragen sind für Ihre Bildbeschreibung relevant und unterstützen dabei, eine Grundlage für die Bildanalyse aufzubauen.

 

2. Analyse des Bildes

In der eigentlichen Bildanalyse geht es dann stärker um die speziellen Gestaltungsmittel, die im Bild sichtbar sind. Die wichtigsten Kategorien sind: die Komposition, die Räumlichkeit im Bild, die Farbanalyse, zu der bei Malereien auch die Maltechnik gehört, sowie der Einsatz von Licht und Schatten.

Für die Analyse der Komposition sind Linien, Formen, Flächen und die allgemeine, zugrunde liegende Struktur des Bildes zentral. Die leitende Forschungsfrage dabei ist: Wie ist das Bild aufgebaut, wie verhalten sich die Bildelemente zueinander?

Die Räumlichkeit ist eng mit der Komposition verbunden, es geht dabei aber stärker um die Perspektive im Bild, um die Position der Betrachtenden, die Bildtiefe. Welchen Raum eröffnet das zu analysierende Bild?

Bei der Farbanalyse wird die Farbwahl untersucht: Welche Farbpaletten liegen vor, für welche Kontraste wurde sich entschieden? Und welche Auswirkungen hat das auf die Atmosphäre des Bildes? Für die Analyse der Maltechnik werden zusätzlich noch die Art der Pinselführung und der Farbauftrag im Zusammenhang mit der jeweiligen kunsthistorischen Epoche betrachtet.

Als weiterer Aspekt werden Licht und Schatten im Bild erforscht. Welche Art von Lichtquellen sind im Bild vorhanden, welchen Schatten erzeugen sie? Ist die Beleuchtung ausbalanciert oder das Bild überbeleuchtet, schattenreich? Auch diese Elemente haben grossen Einfluss darauf, welche grundsätzliche Stimmung ein Bild vermittelt, und sind deshalb für eine Bildanalyse wesentlich.

Bildanalyse schreiben
Maria Lassnig, Zwei Arten zu sein (Doppelselbstporträt),
2000 © Maria Lassnig Foundation

 

Bildanalyse Beispiel

Beispielhafte Bildanalyse: Doppelselbstporträt von Maria Lassnig

Als Beispiel für eine Bildanalyse sehen wir uns das Bild „Zwei Arten zu sein (Doppelselbstporträt)“ der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig genauer an, welches sie im Jahr 2000 gemalt hat. Zuerst wird eine Bildbeschreibung, danach eine Bildanalyse vorgenommen.

Lassnigs Malerei kann der „informellen Malerei“ und dem Tachismus zugeordnet werden7 und zählt zur zeitgenössischen Kunst. Es ist bei diesem Bild sinnvoll, von links nach rechts vorzugehen, da beide Bildelemente gleichwertig gesetzt sind und es kein Hauptmotiv gibt. Das Bild ist mittig geteilt: Auf der linken Seite befindet sich Gesicht und Oberkörper eines Wesens, das einem Tier ähnelt. Auf der rechten Seite ist ein Selbstporträt von Lassnig zu sehen, worauf auch der Titel des Bildes hinweist. Den Hintergrund stellt eine weisse Fläche ohne weitere Auffälligkeiten dar. Die Betrachter:innen blicken frontal und direkt auf die beiden dargestellten Figuren.

Nun zur Bildanalyse: Bei der Komposition von „Zwei Arten zu sein (Doppelselbstporträt)“ ist auffällig, dass das Bild klar in der Mitte geteilt ist, wobei die linke Figur durch die stärkere Umrandung etwas mehr Raum einnimmt und grösser ist als die rechte, also weiter nach oben ragt. Dadurch wird die linke Figur insgesamt betont. Die Linien im Bild sind nicht kontinuierlich und fast immer gerundet, vertikale oder horizontale Achsen sind nicht vorhanden. Durch diese Art der Komposition entsteht Lebendigkeit und Dynamik – gleichzeitig bringen die klare Trennung in der Mitte und der flächige, einfarbige Hintergrund Ruhe und Balance in das Bild.

Die Räumlichkeit im Bild ist eindimensional orientiert – der monotone Hintergrund lässt keine Bildtiefe zu, wodurch die Figuren präsent und konkret wirken und eine Nähe zu den Betrachter:innen manifest wird.

Lassnig arbeitet hier mit pastelligen Farbtönen, hauptsächlich Rosa- und Grüntöne. Bei der linken Figur wurden die Farben kräftiger gewählt, die Umrandung ist hier stärker und durchgehend, während die rechte Figur in blasseren Farben gehalten ist und teilweise sogar weisse Stellen aufweist. Dadurch kreiert Lassnig Kontrast zwischen den zwei Figuren.

Licht und Schatten im Bild werden nur durch die Farbgebung dargestellt – die Lichtquelle scheint dabei von oben zu kommen, was sich in der Gesichtsbewegung der rechten Figur zeigt, die leicht nach oben blickt. Dadurch erhält das Bild Spannung und Plastizität.

Zusammenfassend kann bei „Zwei Arten zu sein (Doppelselbstporträt)“ betont werden, dass die zwei Figuren klare Ähnlichkeiten aufweisen – sie sind nebeneinander und gleichwertig platziert und in einem kohärenten Farbspektrum gehalten. Daneben wird jedoch die linke Figur durch die stärkeren Farben und ihre Grösse hervorgehoben, wodurch ihre mögliche Dominanz oder auch Macht über die rechte Figur kommuniziert wird. Dies verleiht dem Bild zusätzliche Dramatik.

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FAQ

Was ist der Unterschied zwischen Bildbeschreibung und Bildanalyse?

Eine Bildbeschreibung legt die verschiedenen Bestandteile eines Bildes dar, während eine Bildanalyse tiefer geht und die verschiedenen Aspekte des Bildes systematisch untersucht und miteinander verknüpft. Eine Bildbeschreibung kann der erste Schritt einer Bildanalyse sein.

Was kommt alles in eine Bildanalyse?

Eine Bildanalyse umfasst mehrere Komponenten: die Komposition des Bildes, die Räumlichkeit, die Farbanalyse, den Einsatz von Licht und Schatten. Diese Elemente werden systematisch untersucht, um die Struktur, die Perspektive, die Atmosphäre und die Stimmung des Bildes zu verstehen.

Quellen

Bild 1 https://unsplash.com/photos/a-drawing-of-a-person-sitting-in-a-chair-5E28x2OO8qk
Bild 2 https://zacheta.art.pl/en/wystawy/maria-lassnig/prace/2
1 Vgl. Barthes, Roland: Image – Music – Text. New York: Hill and Wang 1977, S. 42.
2 Rubens, Peter Paul: Anbetung der Hirten. Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Staatsgalerie Neuburg, 1619.
3 Triet, Justine: Anatomie eines Falls. Frankreich, 2023.
4 Bergmann, Gustav: Logic and Reality. Madison: University of Wisconsin Press 1964, S. 177.
5 Mitchell, William John Thomas: The Pictorial Turn. In: Artforum, 30/7 (1992), S. 89.
Bildquelle: Swings, 1932, Ethel Spowers. Gift of Rex Nan Kivell, 1953. Te Papa (1953-0003-326) https://collections.tepapa.govt.nz/object/39071
6 Dietz, Melanie M., Kreckel, Nicole: Politische Bilder lesen. Ein Dialog der Herausgeberinnen. In: Dies. (Hrsg.): Politische Bilder lesen. Ein Werkzeugkasten zur Bildanalyse. Bielefeld: transcript 2022, S. 13.
7 Mießgang, Thomas: Schmerzfarben, Krebsangstfarben, Wärmefarben. Maria Lassnig. In: Zeit Online, 07.05.2014.