Gedichtanalyse leicht gemacht – dein Schritt-für-Schritt-Ratgeber

Gedichtanalyse Aufbau und Vorgehen Schritt für Schritt erklärt – mit Beispiel

Maria | 04.09.2024 | Lesedauer 7 min

Im Ausbildungskontext wirst du früher oder später wahrscheinlich auf die Textform des Gedichts stoßen. Oft ist dabei eine Gedichtanalyse gefragt, um das Gedicht in seiner Tiefe verstehen zu können. Doch was ist eine Gedichtanalyse eigentlich genau und woraus besteht sie? Wie wird sie verfasst und was ist beim Schreiben zu beachten? Diese Fragen beantwortet dir der folgende Artikel. Dabei werden zuerst die Gedichtanalyse definiert und dann die einzelnen Bestandteile der Gedichtanalyse sowie ein typischer Aufbau beschrieben. Danach wird erklärt, wie du beim Erstellen einer Gedichtanalyse vorgehst. Und am Ende zeigen wir dir anhand eines kleinen Beispiels, wie eine Gedichtanalyse in der Praxis aussehen kann.

Gedichtanalyse – Definition und Bestandteile

Bei einer Gedichtanalyse werden der Inhalt und die Form eines Gedichts untersucht. Zum Inhalt des Gedichts gehört das grundlegende Thema, um das sich das Gedicht dreht. Zur Form des Gedichts gehören sowohl die Struktur, die das Gedicht aufweist, als auch die sprachlichen Merkmale, die für das Gedicht charakteristisch sind.

Im Vergleich zur Gedichtinterpretation wird bei der Gedichtanalyse das Gedicht nur in seine einzelnen Bestandteile zerlegt, aber nicht genauer interpretiert. Du zeigst zwar Form und Inhalt des Gedichts auf, ziehst jedoch keine weiteren Schlüsse daraus. Es ist deshalb wichtig, auch auf die Aufgabenstellung zu achten: Wird nur eine Gedichtanalyse oder auch eine Gedichtinterpretation von dir verlangt?

Die Gedichtanalyse ist, wie die meisten Texte, in Einleitung, Hauptteil und Schluss unterteilt. In jedem dieser Teile sind bestimmte Aspekte relevant, die es zu beachten gilt.

Schritt für Schritt

Gedichtanalyse: Aufbau

1. Einleitung

In der Einleitung kannst du wesentliche Informationen zum Gedicht und zu:r Autor:in nennen. Dazu gehören der Titel des Gedichts, der:die Autor:in, das Erscheinungsjahr, die Erscheinungsform, die Gedichtart, das Thema und die literarische Epoche, in der das Gedicht verfasst wurde. Die Einleitung sollte nicht mehr als zwei bis drei Sätze lang sein. Das Thema des Gedichts wird hier also nur zusammengefasst. Ins Detail gehst du erst im Hauptteil.

2. Hauptteil

Im Hauptteil deiner Gedichtanalyse untersuchst du das Gedicht nach Inhalt und Form. Es ist empfehlenswert, mit dem Inhalt zu beginnen, um Leser:innen eine Orientierung zu geben.

3. Inhaltsanalyse

Worum also geht es in dem Gedicht genau? Hier ist es hilfreich, das Gedicht in einzelne Sinnabschnitte zu unterteilen. Meistens sind das die Strophen, in denen das Gedicht verfasst ist. Ein neuer Sinnabschnitt kann aber auch dadurch gekennzeichnet sein, dass sich die Stimmung, die Zeitform, die Situation oder auch die sprechende Person, das sogenannte lyrische Ich, ändert.

Exkurs:

Als lyrisches Ich wird der:die Sprecher:in im Gedicht bezeichnet, die als Ich-Person auftritt und über sich selbst erzählt. Beachte dabei aber, dass das lyrische Ich nicht der:die Autor:in des Gedichts sein muss, sondern eine eigenständige (Kunst-)Figur darstellen kann.

Nachdem du das Gedicht in Sinnabschnitte gegliedert hast, beschreibst du Schritt für Schritt den Inhalt, also das Thema des Gedichts. Es ist auch möglich, dass das zu analysierende Gedicht verschiedene Themen gleichzeitig beinhaltet, unterschiedliche Situationen beschreibt oder mehrere Sprecher:innen enthält. Durch die Unterteilung in Sinnabschnitte kannst du die verschiedenen Aspekte des Gedichts nacheinander darstellen und deine Gedichtanalyse wird nachvollziehbar und für deine Leser:innen überzeugend.

4. Formanalyse

Nach dem Inhalt wird dann die Form des Gedichts untersucht. Dazu gehören sowohl die Struktur als auch die sprachlichen Merkmale des Gedichts.
Bei der Struktur des Gedichts sind vier Elemente relevant: Verse und Strophen, das Reimschema, das Versmaß und die Kadenz. Deine Gedichtanalyse sollte alle vier Elemente enthalten.

4.1 Verse und Strophen

Als Vers wird eine Zeile im Gedicht bezeichnet, mehrere Verse hintereinander stellen eine Strophe dar, also einen Absatz im Gedicht. Im Vergleich zu den Sinnabschnitten, die du vorher selbst festgelegt hast, sind die Strophen im Gedicht fest vorgegeben. Du erkennst sie an den größeren Abständen zwischen den Zeilen. Bei den Versen und Strophen untersuchst du also, aus wie vielen Versen das Gedicht besteht, ob Strophen erkennbar sind und ob sich einzelne Verse oder Strophen wiederholen.

4.2 Reimschema

Beim Reimschema wird betrachtet, ob das Gedicht in einem bestimmten Reimschema geschrieben wurde. Es gibt dabei reine und unreine Reime – beim reinen Reim klingen die Worte gleich, beim unreinen Reim nur ähnlich. Ein Beispiel für einen reinen Reim wäre Sonne – Wonne, ein Beispiel für einen unreinen Reim Mond – rund. Daneben gibt es je nach reimenden Worten mehrere Reimschemata: zum Beispiel den Paarreim (a-a-b-b), den Kreuzreim (a-b-a-b) und den umarmenden Reim (a-b-b-a) sowie längere Formen wie den Schweifreim (a-a-b-c-c-b) oder den Kettenreim (a-b-a-b-c-b-c-d-c).

Reimform Eigenschaften
Paarreim
a-a-b-b
Zwei aufeinanderfolgende Verse reimen sich.
Kreuzreim
a-b-a-b
Der erste und dritte sowie der zweite und vierte Vers reimen sich.
Umarmender Reim
a-b-b-a
Ein Reimpaar wird von einem anderen umschlossen.
Schweifreim
a-a-b-c-c-b
Zwei Paarreime und ein Reim, der das Gedicht in Abschnitte teilt.
Kettenreim
a-b-a-b-c-b-c-d-c
Abwechselndes Reimschema, das sich durch das Gedicht zieht.
Reiner Reim Die Reimwörter klingen exakt gleich (z. B. „Sonne – Wonne“).
Unreiner Reim Die Reimwörter klingen nur ähnlich (z. B. „Mond – rund“).

4.3 Versmaß

Als Versmaß wird die Betonung der Silben im Vers verstanden, also der Klang der einzelnen Wörter. Das Versmaß ist somit für den Rhythmus des Gedichts wesentlich. Um das Versmaß zu bestimmen, wird die Abfolge von betonten und unbetonten Silben untersucht. Daraus entstehen insgesamt vier verschiedene Versmaße: der Jambus, eine unbetonte Silbe und eine betonte Silbe; der Trochäus, eine betonte Silbe und eine unbetonte Silbe; der Daktylus, eine betonte Silbe und zwei unbetonte Silben; und der Anapäst, zwei unbetonte Silben und eine betonte Silbe. Du kannst dir im Gedicht neben den Silben die einzelnen Betonungen notieren, um das Versmaß schnell und einfach zu bestimmen. In einem Gedicht können natürlich auch mehrere Versmaße und Mischkombinationen auftreten.

Versmaß Eigenschaften
Jambus Eine unbetonte Silbe gefolgt von einer betonten
(z. B. „verstehn“).
Trochäus Eine betonte Silbe gefolgt von einer unbetonten
(z. B. „Liebe“).
Daktylus Eine betonte Silbe gefolgt von zwei unbetonten Silben
(z. B. „wandern“).
Anapäst Zwei unbetonte Silben gefolgt von einer betonten
(z. B. „Paradies“).

4.4 Kadenzen

Die Kadenzen beeinflussen ebenfalls den Klang und Rhythmus das Gedicht. Sie bezeichnen die Endsilbe im Vers. Wird diese betont, handelt es sich um eine stumpfe Kadenz, ist die Endsilbe hingegen unbetont, so ist es eine klingende Kadenz. Die reiche Kadenz tritt dann ein, wenn die letzten beiden Silben unbetont sind.

Kadenz Definition
Stumpfe Kadenz Die Endsilbe im Vers ist betont.
Klingende Kadenz Die Endsilbe im Vers ist unbetont.
Reiche Kadenz Die letzten beiden Silben im Vers sind unbetont.

 

5. Sprachliche Merkmale

Nachdem du die Struktur des Gedichts anhand der vier Aspekte – Verse und Strophen, Reimschemata, Versmaß und Kadenzen – analysiert hast, kannst du dich den sprachlichen Merkmalen zuwenden.

Als sprachliche Merkmale gelten die Wortarten, der Satzbau und die Stilmittel im Gedicht. Verwendet der:die Dichter:in bestimmte Wortarten (Adjektive zum Beispiel) häufiger als andere? Sind die Sätze im Gedicht lang und bestehen aus Haupt- und Nebensatz, sogenannten Hypotaxen, oder werden kurze Sätze aneinandergereiht (Parataxen)? Und welche Stilmittel fallen dir auf?

Sprachliche Merkmale Erklärung
Wortarten Bestimmte Wortarten wie Adjektive,Verben oder Substantive
können auffallend häufig verwendet werden und den Stil prägen.
Satzbau
  • Hypotaxe: lange Sätze mit Haupt- und Nebensätzen
  • Parataxe: kurze, aneinandergereihte Sätze
Stilmittel
  • Metapher: bildlicher Vergleich ohne „wie“ oder „als“
  • Alliteration: Wiederholung gleicher Anlaute
  • Anapher: Wiederholung eines Wortes am Satzanfang
  • Ellipse: Auslassung von Wörtern
  • Enjambement: Zeilensprung ohne Satzende
  • Neologismus: neu erfundenes oder zusammengestelltes Wort
  • Paradoxon: scheinbarer Widerspruch
  • Personifikation: Vermenschlichung von Gegenständen

Exkurs:

Es gibt zahlreiche Stilmittel, die in Textformen verwendet werden. Deshalb ist es für deine Gedichtanalyse wichtig, auf die auffälligsten und wichtigsten Stilmittel zu achten.

6. Schluss

Nach dem Hauptteil beendest du die Gedichtanalyse mit einem kurzen und prägnanten Schluss. Dabei sammelst du deine Erkenntnisse aus dem Hauptteil und fasst sie für deine Leser:innen zusammen.

Auch hier ist es entscheidend, auf Besonderheiten, die dir bei der Analyse aufgefallen sind, einzugehen. Thematisiert das Gedicht vielleicht eine Beziehung zwischen Freund:innen oder einen spezifischen Ort? Wird ein Reimschema häufig verwendet, zum Beispiel der Trochäus? Enden die Verse hauptsächlich auf klingenden Kadenzen? Und stechen bestimmte Stilmittel heraus, etwa Metaphern, die in Verbindung mit dem Themenfeld „Musik“ stehen? All das verbindest du im Schluss deiner Gedichtanalyse und nennst die Hauptaspekte, die du im Hauptteil herausgearbeitet hast. Du kannst im Schluss auch nochmals auf die literarische Epoche eingehen, in der das Gedicht entstanden ist, und so einen Bogen zur Einleitung spannen, oder auf die Biografie des:der Autor:in. Welche Zusammenhänge kannst du erkennen?

7 Tipps

Gedichtanalyse – Tipps zur Vorgehensweise

Hier noch einige Tipps zur Vorgehensweise, damit deine Gedichtanalyse überzeugt.

  1. Simpel, aber entscheidend: Lies das Gedicht mehrmals durch, bevor du deine Analyse beginnst. Stechen dir beim ersten Durchgehen bereits spezielle Elemente ins Auge, beispielsweise bestimmte Worte, ein spezifischer Rhythmus oder ein außergewöhnlicher Klang? Durch mehrmaliges Lesen bekommst du ein Gefühl für die Atmosphäre und Stimmung des Gedichts, was deine anschließende Gedichtanalyse leichter macht.
  2. Mache dir Notizen direkt am Rand des Gedichts. So weißt du genau, zu welchen Stellen deine Aufzeichnungen und Gedanken gehören und kannst bei der Analyse einfach und schnell darauf zugreifen. Du kannst auch verschiedene Farben zum Markieren von Struktur und sprachlichen Mitteln verwenden, um dich auf die Analyse vorzubereiten. Zusätzlich kannst du auch unklare Stellen im Gedicht oder unbekannte Worte hervorheben, um sie später noch nachzuschlagen.
  3. Gehe systematisch und schrittweise Im Teil zum Aufbau der Gedichtanalyse findest du den genauen Ablauf. So kannst du sichergehen, dass du alle relevanten Aspekte für die Gedichtanalyse zusammengetragen hast.
  4. Beachte, ob eine Gedichtanalyse oder eine Gedichtinterpretation gefordert wird. Bei einer Analyse stellst du nur die unterschiedlichen Teile des Gedichts vor, bei einer Gedichtinterpretation schreibst du diesen Teilen zusätzlich Bedeutung(en) zu.
  1. Eigne dir Wissen zur literarischen Epoche und zur:zum Autor:in an und beziehe es in deine Gedichtanalyse mit ein. Ist die literarische Epoche für bestimmte Stilmittel bekannt, deutet die Lebensgeschichte des:der Autor:in auf besondere Themen hin? So kannst du das Gedicht in einen Kontext setzen und zusätzliche Informationen zur Entstehungszeit, zum Hintergrund und der Biografie des:der Autor:in verwenden, um deine Gedichtanalyse vielfältiger zu machen.
  2. Fokussiere dich in deiner Analyse auf wenige, aber dafür auffällige Aspekte. Anstatt alle Stilmittel oder auch Versformen zu nennen, die im Gedicht vorkommen, wähle pro Kategorie zwei bis drei Aspekte aus und beschreibe diese tiefgehend und detailreich. Inwiefern sind diese sprachlichen Mittel für das Gedicht und sein Thema entscheidend? So verleihst du deiner Gedichtanalyse Spannung und Einzigartigkeit.
  3. Arbeite dich beim Schreiben von grob zu fein Mache dir also anfangs Notizen und formuliere erst dann vollständige Sätze, wenn du dir bezüglich Inhalt und Aussage deiner Analyse sicher bist. So wird deine Analyse auch für deine Leser:innen logisch nachvollziehbar.
Gedichtanalyse Beispiel

Kleines Gedichtanalyse Beispiel für den Hauptteil einer Gedichtanalyse

„Schaf im Nebel“1, der amerikanischen Dichterin Sylvia Plath (1932–1963)

Die Hügel steigen fort ins Weiße.
Leute oder Sterne
Sehen mich traurig an, ich enttäusche sie.
 
Der Zug hinterlässt eine Strecke von Hauch.
O träges
Rostfarbenes Pferd,
 
Hufe, klagende Glocken –
Den ganzen Morgen lang
Ist der Morgen schwärzer geworden,
 
Eine übriggelassene Blume.
Knochen enthalten eine Stille, die fernen
Felder schmelzen mein Herz.
 
Sie drohen
Mich durchzulassen zu einem Himmel
Sternlos und vaterlos, ein dunkles Wasser.

Sylvia Plath beschreibt in „Schaf im Nebel“ eine Landschaft mit Hügeln, Menschen, Sternen, Zügen, Pferden, Blumen, Feldern, dem Himmel und Wasser. Das lyrische Ich befindet sich in der Natur und nennt unterschiedliche Elemente, die es bemerkt. Gleichzeitig erzählt das lyrische Ich auch von seinen eigenen Empfindungen: Enttäuschung, eine Stille in den Knochen, ein schmelzendes Herz. Es berichtet also sowohl von außer- als auch innerkörperlichen Erfahrungen.

„Schaf im Nebel“ besteht aus fünf Strophen mit jeweils drei Versen. Es gibt zwei unreine Reime: Leute – Sterne, schmelzen – Herz, aber kein Reimschema in den Versen. Es ist auch kein einheitliches Versmaß erkennbar. Das Gedicht enthält eine Mischung aus stumpfen und klingenden Kadenzen. Plath verwendet auffällig viele Substantive sowie Adjektive und im Vergleich dazu weniger Verben, was den beschreibenden Charakter des Gedichts verstärkt. Es sind sowohl Hypotaxen als auch Parataxen sichtbar. Stilmittel in „Schaf im Nebel“ sind unter anderem die Alliteration (fernen Felder), die Personifikation (Felder schmelzen, der Zug hinterlässt), die Wiederholung (Morgen) und die Onomatopoesie (klagende Glocken). Es ist bemerkenswert, dass Plath oft Farbbeschreibungen (ins Weiße, Rostfarbenes, schwärzer, dunkles) sowie Worte, die durchsichtige Elemente benennen (Hauch, Stille, Himmel, Wasser), einsetzt.

1 Plath, Sylvia: Ariel. Berlin: Suhrkamp 2016, S. 13.

Gedichtanalyse FAQ

Was ist wichtig für eine Gedichtanalyse?

Eine Gedichtanalyse untersucht den Inhalt und die Form des Gedichts. Dabei werden das Thema, die Struktur (Verse, Strophen), das Reimschema, das Versmaß und sprachliche Mittel analysiert.

Wie fängt man eine Gedichtanalyse an?

Eine Gedichtanalyse beginnt mit einer Einleitung, die den Titel, den:die Autor:in, das Erscheinungsjahr, die Gedichtart, das Thema und die literarische Epoche nennt.

Wie schreibt man eine Gedichtanalyse?

Eine Gedichtanalyse gliedert sich in Einleitung, Hauptteil und Schluss. Im Hauptteil wird der Inhalt analysiert, gefolgt von der Untersuchung der Form (Reimschema, Versmaß, Kadenzen) und der sprachlichen Mittel.