Der Begriff Exegese stammt aus dem Altgriechischen und meint die analytische Auslegung und Interpretation religiöser Texte mithilfe wissenschaftlicher Methoden. Obwohl im Rahmen der Islamwissenschaften auch eine Koranexegese betrieben wird, bezieht sich der Begriff der Exegese meistens auf alt- und neutestamentliche Texte, sodass sowohl die christliche Bibel als auch der jüdische Tanach Gegenstand der Exegese sein können. Die Exegese findet somit in der christlichen Theologie und Religionswissenschaft sowie in der Judaistik Anwendung. Im Rahmen der Exegese werden die religiösen Texte, die in der christlichen und jüdischen Theologie behandelt werden, zum einen literaturwissenschaftlich, zum anderen historisch erschlossen, um die Entstehungsgeschichte eines Textes zu ergründen und damit das Verständnis des Textes zu erleichtern. Die Exegese stellt damit eine zentrale Grundlage für die weiteren theologischen Disziplinen dar.
Die historisch-kritische Exegese
Ausgangspunkt der Exegese ist der Umstand, dass biblische Texte nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form existieren. Vielmehr sind die Texte Übersetzungen und Abschriften des Originaltextes oder gar Abschriften von Übersetzungen und Abschriften. Des Weiteren stammen die biblischen Texte von verschiedenen Personen und wurden über einen langen Zeitraum verfasst und immer wieder redigiert und verändert. Die Zielsetzung der Exegese liegt daher zum einen in der Analyse der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte biblischer Texte, um so den Werdegang der Texte weitgehend nachvollziehen zu können und dem ursprünglichen Text möglichst nahezukommen. Zum anderen sollen die verschiedenen Übersetzungen und Abschriften dann mit dieser ältesten heute noch existierenden Version des Textes kritisch verglichen werden, um Abweichungen in den Entwicklungsstufen des Textes zu identifizieren. Die Exegese wird daher auch als historisch-kritische Exegese bezeichnet.
Die Methoden der historisch-kritischen Exegese
Übersetzung: Die Exegese beginnt mit einer Übersetzung des zu untersuchenden Textes. Stammt der Text aus dem Alten Testament oder dem Tanach wird in der Regel aus dem biblischen Hebräisch oder aus dem Altgriechischen übersetzt. Neuere Texte sind zudem in Latein verfasst. Die Übersetzung stellt die Grundlage für die weiteren Schritte der Exegese dar. Falls die Übersetzung nicht selbst durchgeführt wird, kann auch eine vorhandene Übersetzung genutzt werden, etwa eine deutsche Bibelübersetzung.
Übersetzungsvergleich: Der Übersetzung schliesst sich dann ein Vergleich des ursprünglichen Textes mit dem übersetzten Text an. Hier lassen sich bereits erste Unterschiede und Spielräume für Interpretationen identifizieren.
Textkritik: Die beiden Versionen des Textes werden nun Wort für Wort auf Veränderungen oder Fehler untersucht, die bei den zahlreichen Abschriften und Übersetzungen im Laufe der Zeit entstanden sind. Hierbei gilt es stets zu berücksichtigen, dass der Text zum einen aus Versehen verändert worden sein kann, etwa durch unbeabsichtigte Übersetzungsfehler oder durch Unachtsamkeit beim Abschreiben, zum anderen können textliche Veränderungen aber auch bewusst vorgenommen worden sein. Jede Veränderung wird entweder farblich markiert oder notiert.
Gliederung und Beschreibung: Hierbei wird der Text zunächst inhaltlich und strukturell gegliedert. Die anschliessende Beschreibung des Textes kann auf verschiedene Weise erfolgen, etwa narrativ, semantisch oder linguistisch. In der Regel wird auf die Erzählweise, die Textart sowie auf textliche Stilmittel, wie etwa Reime, Leitworte oder Metaphern, eingegangen. Zudem werden die im Text vorkommenden Personen, vorhandene Zeitangaben und der Ort des Geschehens genannt.
Textabgrenzung: Bei der Exegese wird meist ein kleinerer Textauszug aus einem grösseren zusammengehörigen Text herausgelöst, um diesen dann zu analysieren. Mithilfe der Textabgrenzung werden Anfang und Ende dieses Teiltextes bestimmt. Der zu untersuchende Textauszug, auch Perikope genannt, kann von Textteilen vorher und nachher sowohl formal als auch inhaltlich abgegrenzt werden, etwa durch spezifische Abschlussformulierungen oder durch einen Wechsel der Situation, der handelnden Personen oder des Themas.
Literarkritik: Im Rahmen der Literarkritik wird der Text auf seine Kohärenz und Einheitlichkeit hin überprüft. So soll geklärt werden, ob der Text von einer Person in einem Arbeitsschritt verfasst wurde oder ob der Text in mehreren Arbeitsschritten entstanden ist und von verschiedenen Personen stammt. Hinweise auf Letzteres sind beispielsweise inhaltliche Widersprüche, Wiederholungen oder Wechsel im Schreibstil. Einheitliche Textpassagen können dann zusammengeführt werden, sodass sich ein Bild über die Entstehungsgeschichte des Textes ergibt.
Motiv- und Traditionskritik: Hier geht es um die Bestimmung der Motive und Traditionen, die den Text prägen. Motive können als den Inhalt ausschmückende oder beschreibende Leitgedanken, Redewendungen oder Bilder verstanden werden, Traditionen als grösserer Zusammenschluss einzelner Motive, die dann Gegenstand von Überlieferungen sind und somit Rückschlüsse über geschichtliche und theologische Zusammenhänge erlauben. Die Motive und Traditionen können daher Hinweise darauf geben, wann und in welchem soziokulturellen Kontext ein Text entstanden ist und welche Intention mit dem Text verfolgt wird. Unterschiedliche Motive und Traditionen können darauf hindeuten, dass sich der Text aus unterschiedlichen Schichten zusammensetzt, sodass davon auszugehen ist, dass der Text im Zeitverlauf überarbeitet wurde. Ein Vergleich mit anderen Texten kann zudem Parallelen aufzeigen.
Form- und Gattungskritik: Mit der Form eines Textes sind sprachliche Merkmale gemeint, wie etwa die Syntax, der Stil oder die Wortwahl. Die Gattung dient der Zusammenfassung oder Zuordnung von Texten aufgrund einer vergleichbaren Form und Semantik. Finden sich charakteristische Form- und Gattungsmerkmale in verschiedenen Texten, deutet dies auf einen vergleichbaren Hintergrund hin.
Redaktionsgeschichte: Die Redaktionsgeschichte gilt als Abschluss der Exegese und stellt eine Synthese der vorangegangenen Schritte dar. Aus deren Erkenntnissen wird versucht, die Entwicklung eines Textes zu rekonstruieren, von seiner Entstehung über die verschiedenen redaktionellen Bearbeitungen bis zu seiner Endfassung. In einem weiteren Schritt, im Rahmen der sogenannten Kompositionskritik, wird nach kompositionellen Verknüpfungen mit anderen Texten gesucht, um einen grösseren Kontext herzustellen, aus dem dann Rückschlüsse über die Intention und Funktion der einzelnen Texte gezogen werden können.
Wie aus den bisherigen Ausführungen ersichtlich wird, ist eine Exegese recht komplex, arbeitsintensiv und zeitaufwendig. Falls Ihnen hierfür die nötigen Kapazitäten fehlen, kann Ihnen unser Ghostwriting für Exegese Hilfestellung und Support bieten.