„Ein Modell ist ein auf die wesentlichen Elemente beschränktes Abbild der Wirklichkeit.“ Die Autorin
Modelle richtig nutzen und verstehen: Forschung auf ein gesundes Fundament stellen
Was ist ein Modell im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit?
Ein Modell in unserer natürlichen Sprache ist oft eine Kleinanfertigung eines umfangreicheren, komplexeren Gegenstandes, etwa ein Spielzeugauto. Was aber hat das in einer wissenschaftlichen Arbeit zu suchen, ist die Frage, die sich viele Student:innen stellen, wenn sie von ihren Betreuer:innen das erste Mal davon hören.
Was man an wissenschaftlichen Modellen verstehen muss, unterscheidet sich nicht so stark von einem Spielzeugauto: Es geht um die Reduktion von Komplexität bei höchstmöglicher Beibehaltung der wesentlichen Zusammenhänge. Im Spielzeugauto fehlt die gesamte Elektronik eines echten Autos. Doch Liebhaber des Designs wissen, dass z. B. die Bauweise, Farbe und Materialien dem echten Gegenpart perfekt entsprechen.
Wissenschaft ist grundsätzlich immer ein Versuch, einen bestimmten Teilaspekt einer unendlich komplexen Realität zu nehmen und diesen zu untersuchen und zu verstehen; z. B. den Einfluss der Corona-Pandemie auf
- die Entwicklung der Lesefähigkeit bei Erstklässlern
- den Einstieg in den Arbeitsmarkt bei Berufseinsteigern
- die Möglichkeit ausgewählter Finanzinstrumente, die Wirtschaft zu schützen
Alle diese Themen hängen sogar irgendwie zusammen. Doch eine Untersuchung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, will sie alles gleichzeitig betrachten. Es geht also um die begründete Eingrenzung eines Themas und Auslassung nicht relevanter Zusammenhänge.
Autorinnenprofil:
Amelie hat Philosophie, Klassische Philologie und Katholische Theologie in München studiert. Schon während ihres Studiums hat sie als Hilfskraft und Tutorin andere beim Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten unterstützt. Nach dem Abschluss des Studiums arbeitete sie zuerst als freie Autorin und Datenanalystin, seit Ende 2020 ist sie auch für ACAD tätig.
Wissenschaft ist grundsätzlich immer ein Versuch, einen bestimmten Teilaspekt einer unendlich komplexen Realität zu nehmen und diesen zu untersuchen und zu verstehen.
Vgl. Kromrey, H. (2013). Empirische Sozialforschung: Modelle und Methoden der standardisierten Datenerhebung und Datenauswertung. Wiesbaden: Springer-Verlag, S. 22-23.
Warum ist es so wichtig, ein Modell anzufertigen?
Im Rahmen des wissenschaftlichen Arbeitens wird also ganz bewusst Komplexität reduziert, indem ein bestimmtes Forschungsthema ausgewählt wird. Möglich ist es zwar in unserer Welt, dass der sprichwörtliche Sack Reis in China beeinflusst, ob die Zuliefererkette des Unternehmens Profitbest gut funktioniert. Allerdings kann es sich das Unternehmen Profitbest nicht leisten, jeden möglichen Einfluss und jede theoretische Unwägbarkeit in seine Berechnungen einzuspeisen. Stattdessen beauftragt es Manager:innen, ein Modell der Zuliefererkette anzufertigen, in dem die wichtigsten, beeinflussbaren und zentral zugehörigen Elemente in ihren Zusammenhängen dargestellt werden. So lässt sich dieser Teilausschnitt der Realität besser verstehen und steuern.
Abbildung 1. Beispiel eines extrem simplifizierenden Modells
Das Modell hat hierbei zwei Vorteile: Es zeigt einerseits klar, welche Elemente der Realität als relevant eingestuft werden und untersucht werden – den Fokus der Arbeit. Andererseits zeigt es auch indirekt auf, was nicht beachtet wird.
Das Ausdenken, Designen, Explizieren und Erklären des wissenschaftlichen Modells, welches der Arbeit zugrunde liegt, dient also der Transparenz. Ein Modell legt offen, was an einer Sache als wesentlich empfunden wird und was nicht. Andere Leser:innen können die verwendete Auffassung über die zu untersuchende Realität prüfen, damit übereinstimmen oder anderer Meinung sein.
Beispiele bekannter wissenschaftlicher Modelle
Wissenschaftliche Modelle werden sehr vielfältig eingesetzt. In dieser Vielfalt liegt oft die Schwierigkeit, sie zu verstehen, da sie in allen möglichen Formen und Abstraktionsebenen daherkommen. Hier ein paar Beispiele:
Ein 3D-Druck eines Designerstuhls:
Auf kostenschonende Art können hier bereits Ergonomik und Stabilität überprüft werden.
Galileos Modell des Sonnensystems mit der Sonne als Mittelpunkt der Planetenbahnen:
Wissenschaftler:innen, die von einem geozentrischen Modell ausgingen, hatten zunehmend Probleme, ihre empirischen Beobachtungen und mathematischen Berechnungen zu verstehen – bis das geozentrische Modell aufgegeben werden musste.
Das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit:
Gerade bei aufwendigen, aber komplexen Produkten kann die Chance, dass es Kund:innen zufriedenstellt, nicht der Intuition überlassen werden. Kano identifizierte mehrere Ebenen, in denen ein Produkt überzeugen kann. Besonders aufschlussreich kann es angewandt werden, wenn z. B. ein Produkt trotz Erfüllung der naheliegenden Leistungsmerkmale zurückgewiesen wird.
Positivismus und Interpretivismus:
Die allgemeinste Form von Modellen beschreibt, wie die Realität aufgefasst wurde. Auch dies geht nämlich immer schon mit Reduktion einher. Während Naturwissenschaftler:innen die Welt auf bestimmte Ereignisse reduzieren, die sich beschreiben, überprüfen und messen lassen, halten z. B. Sozialwissenschaftler:innen dagegen, dass ihre Forschungssubjekte (Menschen) ihre Welt konstant interpretieren und somit konstruieren. Ein:e Mitarbeiter:in ist daher nicht besonders produktiv, wenn sie:er gut bezahlt wird, sondern wenn sie:er sich gut bezahlt fühlt. Dies ist unabhängig vom tatsächlichen Gehalt zu betrachten.
Aufgrund dieser offensichtlichen Unterschiede ist bis heute immer noch umstritten, wie ein Modell genau überhaupt zu definieren ist (Thalheim & Nissen, 2015, p. 308).
Modellierung
Durch die wachsende Verfügbarkeit von Daten und die Möglichkeiten, diese zu bearbeiten und zu verwenden, ist es heutzutage besonders gefragt für ein bestimmtes System, z. B. Funktionsabläufe in Firmen, Modelle zu erstellen. Diese können dann Auskunft darüber geben, wo Verbesserungsbedarf besteht oder wo etwas besser gestaltet werden kann. Für die Modellierung werden oft geeignete Sprachen wie UML oder SDL verwendet – oder spezielle Softwarewerkzeuge wie MatLab. Die Modellierung mit diesen Werkzeugen erfordert meist spezifische Fachkenntnisse.
Modelle richtig einsetzen
Die Kraft eines wissenschaftlichen Modells liegt in der adäquaten Beschreibung und Veranschaulichung des Teilaspektes der Realität, auf den sich die Forschung richtet. Typischerweise werden deshalb im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit die Modelle, die sich zu einem Thema in der bisherigen Literatur finden, zuerst verglichen und diskutiert. Am Ende der Besprechung wählt oder designt man das eigene Modell, das man für geeignet hält, um den Zusammenhang korrekt darzustellen. Nach der empirischen Forschung kann das gewählte Modell entweder bestätigt werden oder es können etwaige blinde Flecken und sinnvolle Ergänzungen diskutiert werden.
Unsere Expert:innen im Bereich des wissenschaftlichen Arbeitens und der Modellierung helfen Ihnen gerne mit ihren Fachkenntnissen bei der Umsetzung Ihres Projektes oder beraten Sie bei der Wahl und Anwendung eines geeigneten Modells für Ihr Forschungsvorhaben. Wenden Sie sich gerne an uns!
Thalheim, B., & Nissen, I. (Eds.) (2015). Wissenschaft und Kunst der Modellierung. Berlin, Boston: Walter de Gruyter.
Kromrey, H. (2013). Empirische Sozialforschung: Modelle und Methoden der standardisierten Datenerhebung und Datenauswertung. Wiesbaden: Springer-Verlag, S. 22-23.