Wenn Seminar- oder Abschlussarbeiten mit einem quantitativen Vorgehen bearbeitet werden sollen, stellt sich schnell die Frage nach der Herkunft der Daten für die Analyse. Dabei werden grundlegend zwei verschiedene Formen der Analyse unterschieden: Während eine Primäranalyse eine selbst organisierte (erstmalige) Datenerhebung beinhaltet, stützt man sich im Zuge der Sekundäranalyse (zweitmalig) auf bereits vorhandene Daten. Keine der Herangehensweisen ist aber von vornherein besser als die andere. Der vorliegende Artikel vergleicht die beiden Ansätze und beantwortet die Frage, wann Daten selbst erhoben werden sollten.
Primärforschung oder Sekundärforschung?
Unterschiede zwischen Primär- und Sekundärforschung
Vergleich von Primäranalysen und Sekundäranalysen mit Vor- und Nachteilen. Vorhandene Daten verwenden oder eigene Daten erheben? – Diese Seite steht auch als Audio bereit.
Sekundärforschung
Als Sekundäranalyse wird die Verwendung vorhandener, durch Dritte erhobener Daten bezeichnet. Häufig werden z. B. Studiendaten (auf Anfrage) zur Verfügung gestellt, um die Ergebnisse unabhängig von der Originalpublikation zu überprüfen oder zu replizieren. Gerade im sozialwissenschaftlichen Kontext stehen viele Datensätze zur freien Verfügung, unter anderem um politikwissenschaftliche Indikatoren auf der individuellen oder ökonomische Makroebene von Ländern zu vergleichen.
Sekundärforschung findet häufiger als Primärforschung statt und ist dieser in der Regel vorzuziehen. Grund dafür ist der logistische und methodische Aufwand zur Datenerhebung, der gerade im universitären Kontext (mit Ausnahme von kleineren Umfragen und Datensätzen) kaum in Eigenregie bewältigt werden kann. Gerade für repräsentative Aussagen auf der individuellen Personenebene sind repräsentative Stichproben nötig, für die Meinungsforschungsinstitute enorme Ressourcen und leicht fünfstellige Eurobeträge aufwenden.
Auch ein Grossteil wissenschaftlicher Forschungsprojekte greift deshalb auf Sekundäranalysen zurück, weshalb diese Möglichkeit erst recht bei Seminar- und Abschlussarbeiten in Betracht gezogen werden sollte. Das gilt vor allem dann, wenn im Zusammenhang mit der eigenen Forschungsfrage und Hypothese Daten vorliegen, die in vergleichbarer Qualität kaum eigenständig erhoben werden können. Wenn also keine explizite Vorgabe besteht, ein eigenes Umfrage- oder Datenerhebungsprojekt durchzuführen, ist die Durchführung einer Sekundäranalyse dringend zu empfehlen.
Entscheidend für die Durchführbarkeit einer Sekundäranalyse sind schliesslich die verfügbaren Datenbestände. Hier sind zunächst eine Reihe von sozialwissenschaftlichen Bevölkerungsumfragen zu nennen, deren Datensätze frei verfügbar und damit öffentliches Gut der wissenschaftlichen Gemeinschaft sind. Beispiele hierfür sind der European Social Survey (ESS), die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS), das Eurobarometer oder der World Values Survey. Auch können Daten des bekannten Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) verwendet werden, wobei der Zugang erst nach einem entsprechenden Antrag gewährt wird. Weitere Datensätze können unter anderem über die Datenbank des GESIS Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften gesucht, ggf. beantragt und heruntergeladen werden.
Auf der Makroebene der Länder bieten beispielsweise die Statistikabteilungen der Vereinten Nationen (UN) oder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zahlreiche Indikatoren zum Datenexport an. Die Harvard-Politologin Pippa Norris stellt mittlerweile die vierte Version ihres Democracy-Cross-National-Datensatzes mit über 1.000 sozialen, ökonomischen und politischen Kennzahlen von 193 Ländern für Sekundäranalysen kostenlos zum Download bereit.
Frei verfügbare
Datensätze
Aggregatebene |
Vereinte Nationen (UN) |
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) |
Pippa Norris (Democracy-Cross-National) |
Global Political Demography |
Statistisches Bundesamt |
Statistische Landesämter (z. B. IT.NRW) |
Bundes- und Landesministerien (z. B. Bundesinnenministerium) |
Wirtschaftsforschungsinstitute (DIW, IFO usw.) |
Primärforschung
Trotz der genannten Vorteile von Sekundäranalysen finden sich zur Beantwortung der Forschungsfrage und Hypothesenprüfung in manchen Fällen keine bereits erhobenen Daten. Dies ist meist dann der Fall, wenn das Projekt innovativen Charakter hat und neue Themen bearbeitet. Auch kann es vorkommen, dass die bestehenden Formen der Operationalisierung von theoretischen Konzepten keine zufriedenstellende Lösung für die eigene Arbeit darstellen. Dazu zählen auch abweichende Vorstellungen zur Beschaffenheit von abhängigen und unabhängigen Variablen.
Ein weiterer Grund für die Durchführung einer Primäranalyse könnte in nicht übereinstimmenden Grundgesamtheiten liegen. So besteht die Möglichkeit, dass zwar geeignete Daten zur Abbildung theoretischer Konzepte vorliegen, die untersuchte Population aber eine ganz andere als die fokussierte ist. Wenn z. B. Aussagen über die deutschsprachige Wohnbevölkerung ab einem Alter von 18 Jahren getroffen werden sollen, sind spezialisierte Datensätze über Jugendliche oder Migrant*innen unbrauchbar.
Seltener dürfte vorkommen, dass die der Sekundäranalyse zugrunde liegenden Daten fehlerhaft sind und damit pfadabhängig immer wieder zu mangelhaften Ergebnissen führen. In diesem Fall würde ein einmal gemachter Fehler bei der Datenerhebung zur Multiplikation von Fehlern in allen darauf aufbauenden Analysen führen. Ausgeschlossen ist eine solche Fehlermultiplikation jedoch nicht, sodass auf die Seriosität und methodische Qualität der Datenquelle geachtet werden sollte.
Seminararbeiten in sozialwissenschaftlichen Studiengängen sehen darüber hinaus regelmässig vor, ein eigenständiges Umfrageprojekt durchzuführen. Auch hier ist also Primärforschung anzustellen. Der Fokus liegt dabei normalerweise auf der regelgeleiteten Erstellung von Fragebögen und der Anwendung statistischer Verfahren, weshalb Erwägungen zur Repräsentativität der Stichprobe bewusst nachrangig behandelt werden. Die Stichproben werden in solchen Fällen in der Regel über den Bekanntenkreis oder soziale Netzwerke rekrutiert, weshalb der entsprechende Aufwand kaum mit dem genannten kostenintensiven Vorgehen von grösseren Instituten vergleichbar ist.
Zusammenfassung
Ausgangspunkt für die Entscheidung zwischen Primär- und Sekundärforschung sind Forschungsfrage, theoretische Konzepte und Hypothesen. Die in den Hypothesen angesprochenen theoretischen Konzepte können unterschiedlich operationalisiert werden. Die Recherche nach Daten für eine Sekundäranalyse erstreckt sich vor allem auf die Frage, ob Datensätze mit einer geeigneten Operationalisierung vorliegen. Anschliessend ist zu prüfen, ob die in der Erhebung fokussierte Grundgesamtheit mit dem selbst definierten Aussagebereich übereinstimmt. Ist eine der Voraussetzungen nicht erfüllt, kann die Forschungsfrage anhand einer selbst bestimmten Operationalisierung und Stichprobe im Rahmen einer Primäranalyse untersucht werden.
Vorteile Primäranalyse | Vorteile Sekundäranalyse |
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Weiterführende Literatur:
Baur, N., Blasius, J. (Hrsg.) (2014). Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden: Springer VS.
Porst, R. (2014). Sekundäranalyse und Zugang zu sozialwissenschaftlichen Daten. GWP–Gesellschaft. Wirtschaft. Politik, 63(4), S. 553–562.
Tausendpfund, M. (2018). Quantitative Methoden in der Politikwissenschaft. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS.