Redaktion | 30.11.2022 | Lesedauer 4 min
Der Urteilsstil

Überblick

Juristische Klausuren und Hausarbeiten erfordern ein hohes Mass an sprachlicher Präzision. Die hierfür notwendigen Fähigkeiten sind die Beherrschung einer einfachen, anschaulichen und präzisen Sprache sowie der korrekte Einsatz von Gutachten- und Urteilsstil. Dienen die ersten Semester des Jurastudiums vor allem dazu, die Beherrschung des Gutachtenstils zu erlernen, nimmt die Bedeutung des Urteilsstils bis zum Staatsexamen kontinuierlich zu. Es gibt jedoch einige Grundsätze zu beachten, um den Stil korrekt anzuwenden.
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Urteilsstil in Abgrenzung zum Gutachtenstil

Die häufigste Prüfungsleistung des Jurastudiums ist das Gutachten. Es soll zeigen, dass Fallbearbeiter:innen in der Lage sind, einen gestellten Rechtsfall umfassend rechtsgutachtlich zu würdigen. Dazu gehört eine Offenheit in der Herangehensweise, die über mehrere Schritte hinweg zu einem wohlbegründeten Ergebnis führen soll. Sprachlich wird diese Ergebnisoffenheit durch den Gutachtenstil markiert, der mit der charakteristischen Verwendung der Möglichkeits- bzw. Konjunktivform verdeutlicht, dass die auftretenden juristischen Problemstellungen schrittweise und logisch aufeinander aufbauend bearbeitet werden.

Allerdings wird der oder die Bearbeiter:in nicht jedem Aspekt, der bei der rechtlichen Prüfung eines Sachverhalts anzusprechen ist, die gleiche Aufmerksamkeit widmen. Vielmehr wird er oder sie sich über komplexe Aspekte des Sachverhalts ausführlichere Gedanken machen, während sich unproblematische Merkmale sehr schnell bejahen bzw. verneinen lassen. Auch offensichtliche Aspekte erfordern eine kurze Begründung, wenngleich sie sich jeweils auf einen Neben- oder Halbsatz beschränken dürfen. Für diese einfachen Probleme empfiehlt sich die Verwendung des Urteilsstils.

Bereits der Name verweist vom Wortsinn her auf die Arbeits- und Denkweise eines urteilenden Richters. Kennzeichen des Urteilsstils ist folglich die vorangestellte Formulierung einer in sich abgeschlossenen Entscheidung, die in der Folge schlüssig begründet wird. Dabei wird der Urteilsstil im Indikativ – der Wirklichkeitsform – formuliert (z. B. „A hat das Tatbestandsmerkmal X verwirklicht, indem er […]“).


Wann ist der Urteilsstil notwendig?

Die klare Trennung zwischen dem, was für die Lösung eines Falls wichtig oder unwichtig ist, bereitet gerade in den ersten Semestern oft Schwierigkeiten. Zudem wird von angehenden Jurist:innen durchaus erwartet, sich auch zu eher einfachen Sachverhalten zu äussern, um Verständnis für die Grundlagen des Studiums zu demonstrieren. Um sich keine Blösse zu geben, versuchen Studierende daher bisweilen möglichst jeden Prüfungspunkt im juristischen Gutachten abzuhandeln. Dies ist jedoch in zweierlei Hinsicht ein Fehler:

  1. Allein aus klausurtaktischen Gründen ist es oft schlichtweg nicht möglich, sämtliche Aspekte im Gutachten abzuhandeln, da dieser komplexer ist und somit Zeit für die Bearbeitung der wirklich wichtigen Bestandteile eines Sachverhalts raubt.
  2. Es gibt durchaus Situationen, in denen Studierende auf jeden Fall im Urteilsstil formulieren sollten: Eine Arbeit, die jeden denkbaren Sachverhalt im Gutachtenstil abprüft, erweckt den Eindruck der Langatmigkeit und eines fehlenden Verständnisses für Schwerpunkte. Ein konsequent durchgehaltener Gutachtenstil kann dabei skurrile Züge annehmen, wenn beispielsweise bei jeder im Sachverhalt genannten Person überprüft wird, ob es sich um eine natürliche Person handelt, obwohl es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass es sich um rechtliche Personen handeln könnte (z. B. „A kauft seinem guten Freund B eine Playstation ab“ allein die Annahme, es handele sich nicht um natürliche Personen, spräche in diesem Fall für mangelndes Textverständnis).

Eine Faustregel, um in der Klausur schnell zu entscheiden, welcher Stil sich anbietet, ist zu beurteilen, ob der Prüfungsschritt Aspekte besitzt, die problematisch erscheinen und der näheren Erläuterung bedürfen. Nur Bestandteile, die offensichtlich unproblematisch sind, dürfen im Urteilsstil behandelt werden. Alles, was Zweifel hervorruft, sollte im Gutachtenstil geprüft werden. Hierfür ist ein genaues Lesen des Sachverhalts erforderlich, da in diesem oft klare Hinweise enthalten sind, worauf es bei der Prüfung ankommt. Wird beispielsweise über zwei Sätze hinweg die grosse Freude des A bei der Zerstörung des Eigentums von B beschrieben, ist dies ein eindeutiger Hinweis auf Vorsätzlichkeit und kann im Urteilsstil beschrieben werden (z. B. A handelte vorsätzlich, da …).


Häufige Fehler

Gerade an Stellen der Fallbearbeitung, bei denen für Studierende nicht eindeutig klar ist, ob sie problematisch (Gutachtenstil) oder unproblematisch (Urteilsstil) sind, neigen Studierende zu einer Mischform, die die Elemente der beiden Stile kombiniert. Dabei wird zum Beispiel mit einem Obersatz im Gutachtenstil begonnen, um anschliessend in den Urteilsstil zu wechseln. Zum Beispiel: „Fraglich ist, ob A eine Gefahr i. S. d. § 14 II BPolG verursacht hat. Eine im Einzelfall bestehende (konkrete) Gefahr ist ein Verhalten oder eine Sachlage, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird. Dies ist hier aber nicht der Fall.“

Derartige Kombinationen sind auf jeden Fall zu vermeiden, da sie einen Fehler darstellen. Wenn aus dem Sachverhalt klar hervorgeht, dass keine Gefahr vorliegt, sollte entsprechend der Urteilsstil verwendet werden. Sogar wenn bei der Fallbearbeitung ein Aspekt übersehen wird, der für die Verwendung des Gutachtenstils gesprochen hätte, führt die sprachlich korrekte Anwendung des Urteilsstils zu weniger Punkteabzug als die in jedem Fall falsche Verwendung einer Mischform.


Unterschiede

Unterschied Gutachtenstil und Urteilsstil

Gutachtenstil Urteilsstil
Besondere Aufbauweise in juristischen Gutachten, mit der die Voraussetzungen von Normen geprüft werden Ist dem alltäglichen Sprachgebrauch ähnlicher und handelt unproblematische Sachverhalte ab oder dient der Urteilsbegründung
Beim Gutachtenstil wird eine Frage immer in den Schritten: Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis behandelt Das Ergebnis wird vorangestellt und der Lösungsweg wird anschliessend erläutert
Das Ergebnis steht erst am Ende Die Begründung folgt dem Ergebnis
Merkmale: „Fraglich ist, ob […]“, „Dazu müsste […]“, „Dies wäre der Fall, wenn […]“ Merkmale: Konjunktionen wie „weil“, „indem“, „denn“ etc.
Beispiel: „Dem A könnte gegenüber B ein Anspruch auf Leistungskonditionen nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zustehen.“ Beispiel: „Dem A steht gegenüber B ein Anspruch auf Leistungskonditionen nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zu.“
Literaturverzeichnis

Der Urteilsstil

Holznagel, Bernd: Juristische Arbeitstechniken und Methoden. Wissenschaftliches Arbeiten für Juristen in Zeiten des Internets (UTB), 1. Auflage, Baden-Baden 2012.

Schimmel, Roland: Juristische Klausuren und Hausarbeiten richtig formulieren, 15., überarbeitete und erweiterte Auflage, München 2022.

Klunzinger, Eugen: Einführung in das Bürgerliche Recht. Grundkurs für Studierende der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, München 2019.

Möllers, Thomas M. J.: Juristische Arbeitstechnik und wissenschaftliches Arbeiten. Klausur, Hausarbeit, Seminararbeit, Studienarbeit, Staatsexamen, Dissertation (Vahlen Jura), 10. Auflage, München 2021.

Valerius, Brian: Einführung in den Gutachtenstil. 15 Klausuren zum Bürgerlichen Recht, Strafrecht und Öffentlichen Recht (Tutorium Jura), 4. Auflage, Berlin 2017.

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